Wie wichtig ist Zeitarbeit für die deutsche Wirtschaft?

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19.06.2017
Lesezeit: ~8 Min.

Wie wichtig ist Zeitarbeit als „Beschaeftigungsmotor erster Guete“ für die deutsche Wirtschaft? Welchen Chancen bietet die Zeitarbeitsbranche auch in Zukunft? Diese Fragen möchten wir Ihnen nachfolgend beantworten.

Über 1 Millionen Zeitarbeitnehmer (Stand: Juni 2016) gibt es in Deutschland, die sozialversicherungspflichtig oder ausschließlich geringfügig beschäftigt sind. Zu diesem Ergebnis kam die Bundesagentur fuuer Arbeit in ihrem umfassenden Bericht zu den aktuellen Entwicklungen der Zeitarbeit, den sie im Januar 2017 veröffentlichte. Demnach macht Zeitarbeit knapp 3 Prozent der Gesamtbeschäftigung (36,51 Millionen) aus. Das ist eine beachtliche Zahl, die im Vergleich zum Vorjahr sogar um 45.000 (+5 Prozent) zunahm.

Abb. 1: Beschäftigungsformen laut Bundesagentur

Zeitarbeit ist wichtig für die Wirtschaft

Gemäß IW-Studie (2011, in Zusammenarbeit mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln) erwirtschafteten Unternehmen, die Zeitarbeit einsetzen, rund drei Viertel des Zuwachses der gesamtwirtschaftlichen Produktion des Jahres 2010. Das entspricht 255 Milliarden Euro, wovon etwa 19 Prozent auf die Zeitarbeitnehmer fallen.

Wichtigkeit von Zeitarbeit für Arbeitnehmer und Unternehmen

Als eine feste Größe hat sich die Zeitarbeit in den vergangenen Jahren entwickelt. Da es für Unternehmen langfristig darum geht, wettbewerbsfähig zu bleiben, ist für Unternehmen erforderlich, flexibel zu agieren. Dies wird durch Zeitarbeit, in Ergänzung zum klassischen Arbeitsmarkt, erreicht.

Wie wichtig ist Zeitarbeit für die deutsche Wirtschaft?Von der Flexibilität profitieren beide Seiten - Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Zeitarbeit erhöht die Flexibilität

Zeitarbeit bietet Unternehmen die Möglichkeit, flexibel einsetzbare Arbeitnehmer zu beschäftigen, um zeitlich begrenzte Aufgaben und Projekte zu erledigen oder um saisonale Auftragsspitzen stemmen zu können. Dabei sind grundsätzlich Hilfstätigkeiten von jener Arbeit, die durch Fachkräfte ausgeführt wird, zu unterscheiden.

Die befragten Unternehmen in der IW-Studie schätzen, dass sie dank Zeitarbeitern eine flexible und kurzfristige Anpassung der Kapazitäten vornehmen können. Ein etwa ähnlich wichtiges Motiv zur Nutzung der Zeitarbeit ist die Verfügbarkeit entsprechend qualifizierter Arbeitskräfte. Die Erprobung von Arbeitskräften sei aber weniger wichtig bei der Überlegung zur Anforderung von Zeitarbeitnehmern.

Für rund zwei Drittel der befragten Unternehmen spielt die günstigere Kostenstruktur bei der Entlohnung von Zeitarbeitnehmern (im Vergleich zu Festanstellungen im Bereich der Stammbelegschaft) gar keine oder nur eine stark untergeordnete Rolle. Kaum bedeutend ist gemäß Studie die Entlastung der Unternehmen bei der Personalverwaltung und der damit verbundenen Bürokratie.

Abb. 2: Motive zur Nutzung der Zeitarbeit bei Fachkräften

Zeitarbeit hilft aus der Arbeitslosigkeit, schafft Stellen und sichert Stammbelegschaften

Arbeitssuchende, die beispielsweise aus einer Familienpause kamen, oder Menschen, die in einem komplett neuen Berufsfeld durchstarten möchten, können mittels Zeitarbeit schnell und einfach ins Berufsleben zurückkehren.

Die Bundesagentur für Arbeit schreibt dazu:

Zeitarbeit stellt eine Beschäftigungsperspektive für Arbeitslose, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer, Berufseinsteiger oder Berufsrückkehrer dar. 68 Prozent (465.000) der neu abgeschlossenen Zeitarbeitsverhältnisse im ersten Halbjahr 2016 wurden mit Personen geschlossen, die direkt zuvor keine Beschäftigung ausübten bzw. noch nie beschäftigt waren. Bei der Hälfte der neu begründeten Beschäftigungsverhältnisse lag die letzte Beschäftigung des Zeitarbeitnehmers maximal ein Jahr zurück. Bei 18 Prozent endete die letzte Beschäftigung bereits vor mindestens einem Jahr oder sie waren zuvor noch nie beschäftigt.

Abb. 3: Begonnene Leiharbeitsverhältnisse nach dem vorangegangenen Beschäftigungsstatus und die bisherige Dauer der Beschäftigungsverhältnisse von Leiharbeitskräften

Auf die Frage, wie viele Zeitarbeiter vom Unternehmen übernommen werden, weiß besagte IW-Studie eine Antwort: rund 14 Prozent — wobei über drei Viertel der Übernommenen ohne den vorherigen Einsatz als Zeitarbeitnehmer keine Festanstellung angeboten worden wäre. Dies ist auf den sogenannten Klebe-Effekt zurückzuführen, der hier positiv wirkt. Dieser tritt zutage, wenn Sie als Zeitarbeitnehmer innerhalb der festgelegten Überlassungsdauer im fachlichen und persönlichen Einsatz überzeugen konnten und vom entleihenden Unternehmen in ein direktes Arbeitsverhältnis übernommen wurden. Damit wird deutlich, dass Zeitarbeit nicht nur temporäre Personalengpässe überbrückt, sondern teilweise auch der Rekrutierung von neuen Mitarbeitern dienen kann, die die Stammbelegschaft verstärken.

Die Verdrängung von Stammbelegschaften sei dabei eher als Randphänomen zu betrachten, denn im Großteil der Fälle sichere die Zeitarbeit Stammbelegschaften. Das wurde nach der großen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 deutlich, denn so konnten Massenentlassungen von Stammkräften vermieden werden und für den nachfolgenden Aufschwung benötigtes Personal schnell bereitgestellt werden.

Die Krise hätte ohne Zeitarbeit wahrscheinlich schwerwiegendere Folgen für die deutsche Wirtschaft gehabt und länger angedauert. — IW-Studie (2011)

Unternehmen, die Zeitarbeit einsetzen, stärken laut Studie nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland, da sie „deutlich stärker internationalisiert und innovativer sind und mehr Forschung und Entwicklung als die Vergleichsgruppe ohne Zeitarbeitnehmer betreiben.“ In Zeiten des Aufschwungs sind diese Unternehmen auf einen flexiblen Arbeitsmarkt, den auch die Zeitarbeit ermöglicht, angewiesen.

Neueste Entwicklungen und Nachhaltigkeit von Zeitarbeit

Die Zeitarbeitsbranche wächst und wird nun zunehmend reguliert. Seit 1. April 2017 ist im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz die Begrenzung der Überlassungsdauer auf 18 Monate verankert sowie die Pflicht für Unternehmen, ein gleiches Gehalt nach neun Monaten der Betriebszugehörigkeit zu zahlen.

Damit dürfen Sie als Zeitarbeiter maximal anderthalb Jahre lang an denselben Betrieb ausgeliehen werden. Danach muss Sie laut Gesetz das Unternehmen festanstellen. Eine Ausnahme gibt es bereits in der Metall- und Elektroindustrie, wo Sie bis zu 48 Monate in einem Betrieb beschäftigt werden dürfen, ohne einen Anspruch auf eine Festanstellung zu haben. Auf diese Änderungen haben sich der Arbeitgeberverband Gesamtmetall und die IG Metall verständigt.

Mindestlohnerhöhung 2017 — Faires Gehhalt?

Seit 1. März 2017 beträgt der neue Mindestlohn für Zeitarbeiter laut iGZ-Tarifvertrag 9,23 Euro in Westdeutschland und 8,91 Euro in Ostdeutschland. Laut Thomas Hetz, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP), sei die Zeitarbeit entgegen der gängigen Vorurteile eine Dienstleistungsbranche mit normalen Löhnen, die über dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland liegen und nun auch erhöht wurden.

Zudem betont das IW Köln, dass Lohnvergleich von Zeitarbeitern mit anderen Arbeitnehmern, irreführend sei, da sie überwiegend für Aufgaben eingestellt würden, für die keine abgeschlossene Berufsausbildung nötig sei. Diese Aussage betätigt die Bundesagentur zusammenfassend:

Leiharbeitnehmer arbeiten häufiger in Tätigkeiten, die mit einem niedrigen Anforderungsniveau verbunden sind. Mehr als jeder Zweite übt eine Helfertätigkeit aus (alle Beschäftigte: jeder Fünfte).

Ferner gibt die Bundesagentur zu verstehen, dass bei Zeitarbeitnehmern der Anteil der Personen ohne Berufsabschluss mit 27 Prozent deutlich höher sei als der entsprechende Anteil von 15 Prozent bei allen Beschäftigten. Dagegen sei der Akademikeranteil in der Zeitarbeit mit 9 Prozent unterdurchschnittlich (insgesamt: 16 Prozent). Hochqualifizierte Tätigkeiten seien in der Zeitarbeitsbranche aber seltener vertreten:

Während unter allen Beschäftigten jeweils 12 Prozent eine Experten- oder eine Spezialistentätigkeit ausübten, beliefen sich diese Anteile bei Leiharbeitnehmern auf 5 und 4 Prozent. Knapp zwei von fünf Leiharbeitnehmern sind als Fachkraft tätig, bei den Beschäftigten insgesamt sind es fast drei von fünf.

Abb. 4: Beschäftigungsstruktur von Leiharbeitnehmern und Beschäftigten insgesamt

Darüber hinaus betont Martin Kannegiesser (Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall), dass Einkommen, Arbeitszeiten und sonstige Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft und der Zeitarbeitnehmer nicht automatisch gleichgesetzt werden können. Er sagt, in Bezug auf die Metall- und Elektro-Industrie (M+E), die laut Bundesagentur mit 35 Prozent den höchsten Bestand an Zeitarbeitnehmern hält:

Weil die Stammmitarbeiter aufgrund ihrer Betriebserfahrung, ihrer Qualifikation und der meist anspruchsvolleren Aufgaben eine höhere Produktivität aufweisen, sind auch Unterschiede in der Bezahlung sachlich gerechtfertigt. Zeitarbeitnehmer kommen, wie bereits erwähnt, überwiegend aus der Erwerbslosigkeit [Anm. der Red.: 68 Prozent laut Bundesagentur]. Sie kennen daher weder die Betriebsabläufe noch die Unternehmenskultur. Der Lohn abstand stellt insofern einen Einarbeitungsabschlag oder eine Art Vermittlungsprämie […] dar. Insbesondere Geringqualifizierte könnten zu den regulären M+E-Tarifen oft nicht beschäftigt werden.

Vollzeitbeschäftigung mit Sozialversicherungspflicht

Mehr als 90 Prozent der Leiharbeitnehmer (932.000) waren im Juni 2016 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das stellt die Bundesagentur fest. Damit wuchs die Zahl im Vergleich zum Vorjahresmonat um 43.000 (+5 Prozent). Die meisten Zeitarbeiter (84 Prozent) waren Vollzeitbeschäftigte, auch wenn relativ gesehen die Zahl der teilzeitbeschäftigten Zeitarbeitnehmer stärker wuchs als die der Vollzeitbeschäftigten (+10 Prozent bzw. +4 Prozent). Dies sei auch ein Trend bei allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.

Die Beschäftigungsverhältnisse von Zeitarbeitskräften (Abbildung unten) bestehen zu 35 Prozent seit 18 Monaten und mehr. Insofern ist die genannte Übernahmequote von Werner Stolz (iGZ-Hauptgeschäftsführer) durchaus realistisch, da seit April die besagte Überlassungsdauer auf 18 Monate gesetzlich begrenzt wurde. Demnach kann Zeitarbeit als „Sprungbrett zur Festanstellung“ genutzt werden.

Abb. 5: Dauer der beendeten Beschäftigungsverhältnisse von Leiharbeitskräften

Der wahre Wert von Zeitarbeit

Zeitarbeit bildet eine Brücke in den Arbeitsmarkt. Diese mag für manche gesamtwirtschaftlich wie ein schmaler Steg erscheinen, hilft aber, mehr Erwerbslosen den Weg ins Berufsleben zu bahnen. Je erfolgreicher dieser Transfer geschieht, desto größer ist der arbeitsmarktpolitische Erfolg. Gerade deshalb rät Kannegiesser allen, mitzuhelfen, den Übergang zu verbreitern und zu stabilisieren.

Nicht nur der Klebe-Effekt, der durch die Vermittlungsfunktion von Zeitarbeit zustandekommt ist ein Erfolg. Wenn Sie es bereits in die Zeitarbeit geschafft haben, besitzen Sie einen vollwertigen, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz im sogenannten ersten Arbeitsmarkt, mit dem gleichen Kündigungsschutz wie alle anderen Arbeitsplätze.

Zeitarbeit ist ein Frühindikator

Den beginnenden konjunkturellen Aufschwung spüren vor allem Zeitarbeiter, weil die Nutzung von Zeitarbeit dann wächst. Hält dieser Aufschwung dann sogar an, steigt nicht nur das Vertrauen der Unternehmen in die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch darin, das Stammpersonal zu erweitern. In einer Abschwungphase werden im Sektor der Arbeitnehmerüberlassung hingegen frühzeitig die Folgen der wirtschaftlichen Eintrübung sichtbar. Das bedeutet, dass bevor die Stammbelegschaft entlassen wird, eher noch Anpassungen der Arbeitszeit, die Reduktion der Überstunden, Kurzarbeit oder eben die Inanspruchnahme von Zeitarbeit reduziert wird. Zu diesem Ergebnis kommt die Bundesagentur für Arbeit.

Daraus schließt sie, dass die Arbeitskräftenachfrage in der Zeitarbeit in besonderem Maße mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland zusammenhänge:

Ein deutlicher Anstieg der Stellenmeldungen aus der Zeitarbeitsbranche wird dabei als Indikator für eine positive Entwicklung am Arbeitsmarkt gewertet. Ein auffälliger Rückgang könnte hingegen ein erstes Anzeichen für einen wirtschaftlichen Abschwung sein.

Deshalb werde die Zeitarbeit häufig als frühes Anzeichen für Umschwünge in der Wirtschaft gesehen.

Wachstumsbeitrag der Zeitarbeit

Der Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktion des Jahres 2010 belief sich auf 334 Milliarden Euro und fiel zu knapp 75 Prozent auf Unternehmen, die Zeitarbeit einsetzen. Zu diesem Ergebnis kommt die IW-Studie. Ferner heißt es, dass rund 15 Prozent dieses Zuwachses oder rein rechnerisch jeder siebte Euro auf die Zeitarbeitnehmer entfallen. Das zeige die hohe volkswirtschaftliche Bedeutung der Zeitarbeit aus, besonders bei der damaligen Bewältigung der größten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik Deutschland.

Abb. 6: Wachstumsbeitrag der Zeitarbeit

Fazit: Wohin geht’s mit der Zeitarbeit?

Die Zeitarbeit ist mit den bisher eingeführten gesetzlichen Neuregelungen komplizierter und teurer für die Branche geworden. Ohne Frage wird dies herausfordernd und in der Praxis auch Schwierigkeiten mit sich bringen. Für das Überstehen dieser Phase spricht die bisherige Entwicklung der Zeitarbeit und Zeitarbeitnehmer, deren Zahl sich seit 1991 verfünffacht hat (IW-Studie, 2011).

Ohne Frage ist Zeitarbeit zu einer festen Größe auf dem deutschen Arbeitsmarkt geworden. Die flexible Beschäftigung von Arbeitnehmern ermöglicht Unternehmen, den Personalbedarf zeitnahe an sich ändernde Auftragslagen anzupassen. Auch wenn Zeitarbeitnehmer das Risiko tragen, aus der Beschäftigung heraus wieder arbeitslos zu werden, bietet die Zeitarbeit jenen mit beispielsweise niedrigen formalen Qualifikationen oder Phasen von Nichterwerbstätigkeit entsprechende Beschäftigungschancen sowie mit der neuen Grenze von 18 Monaten auch eine weitere Chance auf Dauerbeschäftigung.

Die Entwicklung des Arbeitsmarktes kann niemand vorhersagen, da er sich stetig wandelt. In diesem Kontext kann Zeitarbeit Ihnen als Arbeitnehmer und den Unternehmen zumindest eine gewisse Sicherheit und Flexibilität bieten.

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